Die amerikanischen Bundesstaaten schreiten in der Klimapolitik voran und werden so zum Wegbereiter einer neuen U.S.-Regierung.
Es war der erste Schritt der neuen Regierung von internationaler Bedeutung: Kurz nach seiner Amtseinführung 2001 ließ Präsident George W. Bush seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice das Kyoto-Protokoll wortwörtlich für „tot“ erklären. Unilateral, ohne jede Unterredung mit den Führern anderer Staaten, revidierte er damit die Position seines Vorgängers Bill Clinton. Auch von seinem Wahlversprechen, verbindliche Höchstmengen für den Kohlendioxidausstoß von Kraftwerken festzulegen, wollte der neue Mann im Oval Office nun nichts mehr wissen. Seitdem wartet die Weltgemeinschaft vergebens auf die Demonstration amerikanischer Führungsstärke in der Klimapolitik. Anfangs erhob Bush gar Zweifel an den wissenschaftlichen Grundlagen zum Klimawandel. Dann stellte er ein nationales Klimaprogramm vor, deren groß angekündigte Ziele bei näherem Hinsehen wenig mehr als business as usual entsprachen. Auf internationaler Ebene glänzte Bush ebenfalls mit vollmundiger Rhetorik, muss sich aber vor allem für eines verantworten: sein weitgehendes Nichtstun.
Amerika ist größer als das Weiße Haus
Viel zu oft wird die amerikanische Politik von ausländischen Beobachtern auf das Verhalten der Regierung in Washington reduziert. Dabei versuchen die US-Bundesstaaten, in Ermangelung föderaler Führung, seit vielen Jahren, die klimapolitischen Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Bereits im Jahr 2002 verfassten die Generalstaatsanwälte von elf Einzelstaaten ein öffentliches Schreiben an Präsident George W. Bush. Darin brachten sie ihre Sorge über den Klimawandel zum Ausdruck und forderten eine engere Zusammenarbeit des Weißen Hauses mit den Bundesstaaten. Anfangs standen Kalifornien, New Jersey, und die Neuenglandstaaten einsam an der Spitze der neuen klimapolitischen Bewegung. Doch inzwischen sind ihnen viele, auch traditionell eher konservative Staaten aus weiten Teilen des Landes gefolgt.
Die Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI) schließt zehn Staaten im Nordosten der USA zu einem Emissionshandelssystem zusammen. Einige zusätzliche Staaten nehmen als Beobachter teil, und auch Kalifornien hat bereits sein Interesse an einem Beitritt bekundet. RGGI ähnelt in vielen Punkten dem Emission Trading Scheme der EU, und das nicht ohne Grund: europäische Experten standen beim Entwurf beratend zur Seite. Dieser verpflichtet die Stromproduzenten in den teilnehmenden Staaten zunächst zur Stabilisierung der CO2-Emissionen auf dem derzeitigen Niveau im Jahr 2009; bis 2019 soll der Ausstoß dann um 10 Prozent reduziert werden.
Unternehmungen in Ost und West
Auf der anderen Seite des Kontinents verbindet die Western Climate Initiative (WCI) die amerikanischen Pazifikstaaten, eine Reihe kanadischer und mexikanischer Provinzen und mehrere Indian Nations. Ihr Ziel ist es, gemeinsame Strategien zur Verringerung der Treibhausgas-Emissionen ausfindig zu machen, zu bewerten und umzusetzen. Ende 2007 einigten sich die Mitglieder der WCI, ihre Emissionen bis 2020 um 15 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren (zum Vergleich: Bush will erst 2025 anfangen, den Gesamtausstoß zu reduzieren). Bis August 2008 wollen die WCI-Staaten das genaue Design für einen marktbasierten Mechanismus zur Erreichung dieses Ziels abgesteckt haben.
In der Clean and Diversified Energy Initiative (CDEi) wiederum haben es sich die Gouverneure von achtzehn Staaten im Westen der USA zur Aufgabe gemacht, die unterschiedlichen Ressourcen der Region urbar zu machen für die Produktion erschwinglicher, nachhaltiger und umweltfreundlicher Energie. Unter anderem wollen die Gouverneure eine Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen. Erst vor kurzem hat die Initiative mit dem Midwestern Greenhouse Gas Accord eine zusätzliche regionale Vereinbarung zwischen sechs Gouverneuren und dem Premier der kanadischen Provinz Manitoba hervorgebracht. Auch hier liebäugeln weitere Staaten bereits als offizielle Beobachter mit einer späteren Teilnahme. Zweck der Vereinbarung ist die Verabredung konkreter Reduktionsziele, die Entwicklung eines Emissionshandelssystems und eventueller zusätzlicher Maßnahmen wie die Heraufsetzung des Treibstoff-Qualitätsstandards und steuerliche Anreizsysteme.
Ein Dach für alle – auch den Vorreiter Kalifornien
Inzwischen bauen die Bundesstaaten sogar fleißig an einem gemeinsamen Dach für ihre unterschiedlichen regionalen Initiativen. 39 von ihnen (Stand Dezember 2007) sind bereits Mitglieder der Climate Registry. Diese gemeinnützige Organisation wurde gegründet, um die Treibhausgasemissionen von Privatunternehmen, staatlichen Einrichtungen, Gemeinden und anderen Akteuren zu erfassen und offenzulegen. Diese Erhebungen in einem einzigen, einheitlichen System sollen dann als Grundlage für freiwillige, marktbasierte und staatlich verordnete Klima-Initiativen in einzelnen Staaten und in den regionalen Initiativen dienen.
Bislang war Kalifornien mit weitem Abstand der aktivste Staat in der Klima- und Energiepolitik. Der California Global Warming Solutions Act von 2006 – nach der bescheidenen Auffassung der kalifornischen Umweltbehörde" das erste Regulierungen und Marktmechanismen umfassende Programm der Welt zur quantifizierbaren und kostengünstigen Senkung von Treibhausgasemissionen" – zielt auf eine Stabilisierung des Ausstoßes bis 2020 auf dem Niveau von 1990 ab. Darüber hinaus hat Gouverneur Arnold Schwarzenegger, dem Vernehmen nach zur Zeit als Umwelt- und Energiebeauftragter einer möglichen Obama-Administration im Gespräch, seinen Staat per exekutiver Verordnung auf eine Emissionsverringerung bis 2050 um 80 Prozent unter den Stand von 1990 verpflichtet. Ein weiteres Gesetz ordnet die staatliche Luftreinhaltungsbehörde an, Emissionsnormen für leichte Nutzfahrzeuge zu erlassen. Die neuen Limits werden für das neue Modelljahr 2009 gelten, wenn Kalifornien für diese Maßnahme grünes Licht von der nationalen Umweltbehörde EPA bekommt. Da diese dazu zumindest unter der jetzigen Bundesregierung nicht bereit ist, streiten die beiden Parteien nun vor Gericht um die gesetzgeberische Zuständigkeit. Sechzehn weitere Staaten haben derweil angekündigt, den kalifornischen Abgas-Standards zu folgen, wenn diese tatsächlich rechtskräftig werden.
Wichtige Beiträge zum Klimaschutz
Die klimapolitischen Aktivitäten der amerikanischen Bundesstaaten sind aus einer Vielzahl von Gründen wichtig: Erstens verfügen sie über teils beträchtliche Emissionen, selbst im globalen Maßstab. Kalifornien etwa stößt mehr Treibhausgase aus als Brasilien, Texas mehr denn Frankreich. Zweitens fungieren amerikanische Staaten oft als politische Laboratorien für die Bundesorgane. Viele, wenn nicht die meisten föderalen Umweltmaßnahmen in den USA gehen auf frühere Anstrengungen in den Staaten zurück. Des Weiteren obliegt den Staaten die Hauptzuständigkeit in einigen für den Klimawandel wichtigen Bereichen, beispielsweise der Stromversorgung. Und nicht zuletzt verbreiten die Einzelstaaten durch ihre Bemühungen ein Gefühl der politischen Dynamik, der Unabdingbarkeit gesetzgeberischer Maßnahmen zum Klimaschutz. Die Voraussetzungen für den Erlass föderaler Bestimmungen werden dadurch maßgeblich verbessert.
Viele Städte und Gemeinden ergänzen die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesstaaten. So haben beispielsweise bereits mehr als 700 Bürgermeister aus allen Teilen des Landes das Mayors Climate Protection Agreement unterzeichnet. Dieses fordert Landes- und Bundesregierungen auf, alle notwendigen Maßnahmen zur Erreichung des amerikanischen Kyoto-Ziels (Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 1990 um 7 Prozent bis 2008-2012) zu ergreifen. Der Druck auf die US-Bundesregierung, dem Klimawandel viel entschlossener entgegenzutreten, die Energieeffizienz zu erhöhen, alternative Energieträger zu fördern und fossile Brennstoffe zu reduzieren, wächst immer weiter.
Vorhut und Ergänzung, aber kein Ersatz
Einige Staaten haben in der Vergangenheit sogar versucht, sich in die internationale Politik der Bush-Regierung einzumischen. Joint Resolution 20 des kalifornischen Senates etwa fordert die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls. Am 29. Oktober 2007 gründeten zehn US-Bundesstaaten eine Partnerschaft mit Deutschland und acht weiteren Ländern der Europäischen Union sowie der Europäischen Kommission. Diese International Carbon Action Partnership (ICAP) setzt sich aus Ländern und Regionen zusammen, die derzeit dabei sind, Kohlenstoffmärkte durch verbindliche „cap-and-trade“ Systeme einzurichten – oder dies bereits getan haben. Der Zusammenschluss soll zunächst einmal als Forum zum Austausch von Erfahrungen dienen.
Spätestens an dieser Stelle wird die Grenze bundesstaatlichen Handelns in der Klimapolitik sichtbar. Die amerikanischen Einzelstaaten suchen nach Kräften – und tatsächlich mit einigem Erfolg – das politische Vakuum zu füllen, das ihnen die Bundesregierung unter Präsident Bush hinterlassen hat. Ganz füllen können sie es nicht. Letztendlich wird es eine Vereinheitlichung der verschiedenen Aktivitäten auf Ebene der nationalen Politik geben müssen, damit das ganze Potential der USA im Klimaschutz entfaltet werden kann. Und klimaaußenpolitisch halten ohnehin Präsident und Bundessenat die Kernkompetenzen in der Hand. Wer also eine nationale amerikanische Klimapolitik, die diesen Namen verdient, und internationale Reduktionsverpflichtungen für die USA herbeisehnt, muss sich noch ein wenig gedulden. Beides wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit unter Bushs Nachfolger im Weißen Haus einstellen – ob dieser nun McCain oder Obama heißt. Beide Präsidentschaftskandidaten werden in ihrem Vorhaben, ein nationales Emissionshandelssystem einzurichten, auf die Expertise der Bundesstaaten und die Vorarbeit im Rahmen der Climate Registry zurückgreifen können. Die progressive Politik der amerikanischen Einzelstaaten ist von enormer Bedeutung für den Klimaschutz, bislang als Vorhut und schon bald als Ergänzung nationaler Maßnahmen. Ein vollwertiger Ersatz für erfolgreiche Bundespolitik kann sie nicht sein.
* Dieser Artikel wurde mit Mitteln der EU finanziert.
Alexander Ochs ist Gründungsherausgeber von FACET – Forum for Atlantic Climate and Energy Talks und Senior Non-resident Fellow des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University. Nebenbei unterrichtet er an der City University of New York. Zwischen 2002 und 2007 war er Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik.
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Dossier: Im Westen was Neues
Die USA im Wahlkampf 2008In den USA wird am 4. November 2008 ein neuer Präsident gewählt. Nach acht Jahren Bush-Regierung und der mittlerweile in den USA weit verbreiteten Enttäuschung über deren Politik scheint klar, dass der neue Präsident innenpolitisch wie außenpolitisch neue Akzente setzen wird - unabhängig davon, ob mit Barack Obama zum ersten Mal ein schwarzer Amerikaner Präsident wird oder John McCain die republikanische Ära fortsetzt.
Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet den Wahlkampf in den USA mit Veranstaltungen, Analysen und Berichten. Dabei wird neben der Betrachtung der innenpolitischen Diskussionen und Entwicklungen in den USA insbesondere beleuchtet werden, was die sich abzeichnenden neuen Politiken für das transatlantische Verhältnis bedeuten. Dieses Dossier dokumentiert die Aktivitäten der Heinrich-Böll-Stiftung zum US-Wahlkampf. » mehr